In meinem letzten Blog über Karriere als Professorin habe ich von den schönen Seiten dieses Berufs als auch über die Herausforderungen geschrieben, die er nach sich zieht. Eine Leserin berichtete über Ihre, leider schlechte, Erfahrungen bei der Suche nach der Erstkorrektur ihrer Promotion in dem Kommentar. …und sie ist nicht die Einzige, die teilweise abwertenden Kommentaren begegnet. Das stimmt mich gleichermaßen nachdenklich und traurig. Ich finde es schade, dass es in der Wissenschaft immer noch Strukturprobleme gibt, die Frauen benachteiligen. Wo kommen diese her? Warum entstand überhaupt eine Idee, die den Frauen keinen Platz in der Wissenschaft zubilligt? Es mag viele Gründe geben.
Eine Rolle spielte dabei die patriarchalische Gesellschaftsstruktur, die lange Zeit Frauen den Zugang zu Bildung und Wissen verwehrte. Es gibt verschiedene Theorien und Ansätze, die versuchen, den Ursprung dieser Struktur zu erklären. (Ein Ansatz ist zum Beispiel die Reaktion auf die Einführung der Landwirtschaft und sesshaften Lebensweise, ein anderer stellt den Zusammenhang mit der Entstehung der Religion in den Vordergrund.)
Zudem wurden Frauen in der Vergangenheit oft als weniger intellektuell und weniger fähig angesehen als Männer, was zu einer Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft führte. Auch heute noch existieren unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen in der Wissenschaft, die sich in Form von unbewussten Vorurteilen, dem sogenannten „unconscious bias“ zeigen. Ich selbst bin auch immer wieder damit konfrontiert: „…wie, DU bist Mathematikerin? …Du siehst gar nicht so aus!“ …hmmm…???…wie sieht denn eine Mathematikerin & Absolventin der Technischen Universität aus?
Paradoxerweise wurde die Existenz dieses Phänomens in den wissenschaftlichen Studien ausgiebig untersucht und empirisch nachgewiesen. Unbewusste Vorurteile können zu vielen Problemen führen, insbesondere wenn es darum geht, dass Frauen ihre Karriereziele erreichen.
Zum Beispiel die Studie “ Men, women and STEM: Why the differences and what should be done?“ (2021) von Stewart-Williams and Halsey (https://doi.org/10.1177/0890207020962326) untersucht die Rolle von Stereotypen bei der Entscheidung von Frauen, eine Karriere in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik (STEM = MINT) zu verfolgen. Sie untersuchen auch andere Faktoren als Diskriminierung am Arbeitsplatz, die zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden in MINT-Fächern beitragen. Dazu gehören relativ große durchschnittliche Geschlechtsunterschiede bei den Karriere- und Lebensstilpräferenzen und relativ kleine durchschnittliche Unterschiede bei den kognitiven Fähigkeiten. Diese sind nicht nur auf soziale Faktoren zurückzuführen, sondern haben auch eine wesentliche biologische (d. h. vererbte) Komponente.
Es ist wichtig, dass wir uns dieser Vorurteile bewusst sind und uns bemühen, sie zu überwinden. Dafür ist es aus meiner Sicht wichtig aber auch interessant zu verstehen, was dieser ist, was ihn ausmacht, damit wir Methoden und Möglichkeiten finden, ihn zu minimieren.
Da einer meinen Forschungsschwerpunkte verhaltensbasierte Ökonomie ist, habe ich mich näher mit dieser kognitiven Verzerrung befasst.
Der englische Begriff „bias“ bedeutet so viel wie Vorurteil, Voreingenommenheit oder auch Verzerrung. In der Wissenschaft beschreibt dieser Begriff eine systematische Abweichung von einer neutralen oder objektiven Betrachtungsweise, die durch persönliche oder soziale Faktoren beeinflusst wird.
Ein Beispiel dafür ist der „unconscious bias“, also ein unbewusstes Vorurteil oder eine Voreingenommenheit, die sich aufgrund von Erfahrungen, Erlebnissen und kulturellen Faktoren im Unterbewusstsein festgesetzt haben und das Denken und Handeln beeinflussen. Sie laufen automatisch und unbewusst ab und beeinflussen unser Verhalten und unsere Entscheidungen, ohne dass wir es bemerken.
Es gibt auch den „conscious bias“, d.h. den eigenen Vorurteilen oder der Voreingenommenheit ist sich die Person bewusst. Es handelt sich um eine bewusste Entscheidung, die aufgrund von persönlichen Überzeugungen oder Erfahrungen getroffen wird.
Beide Formen des Bias können zu diskriminierenden oder ungerechten Entscheidungen führen und sollten deshalb vermieden werden. Es ist wichtig, sich der eigenen Verzerrungen bewusst zu sein und Strategien zu entwickeln, um diese zu reduzieren.
Der Begriff „unconscious bias“ wurde erstmals in den 1990er Jahren von Psychologen Mahzarin Banaji und Anthony Greenwald geprägt. (Greenwald, A. G., Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: attitudes, self-esteem, and stereotypes. Psychological Review, 102(1), 4-27.)
Die Autoren entwickelten den „Implicit Association Test“ (IAT), um die unbewussten Einstellungen und Vorurteile von Menschen zu messen. Der IAT basiert auf der Idee, dass wir aufgrund unserer Erfahrungen und Stereotypen bestimmte Assoziationen bilden, die unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflussen können.
Empirische Studien haben gezeigt, dass unbewusste Voreingenommenheit in vielen Bereichen der Gesellschaft existiert, wie zum Beispiel in der Arbeitswelt, im Bildungswesen, in der Justiz und im Gesundheitswesen. Eine Studie aus dem Jahr 2012 zeigte beispielsweise, dass Bewerbungen mit männlichen Namen in der Wissenschaft bevorzugt wurden, obwohl die Bewerbungen identisch waren.
Es gibt verschiedene Gründe, warum es zu unbewusster Voreingenommenheit kommen kann.
Die Entstehung von Stereotypen ist ein komplexes Phänomen und kann von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst werden, wie z.B. kulturelle Normen, Erfahrungen, Medien oder sozialer Kontext, sowie die Art und Weise, wie wir Informationen verarbeiten. Sie können dazu führen, dass wir bestimmte Gruppen von Menschen unbewusst anders wahrnehmen oder beurteilen.
Einige Forscher argumentieren, dass Stereotypen ein Überbleibsel unserer evolutionären Vergangenheit sind und uns in der Vergangenheit geholfen haben, schnell Entscheidungen zu treffen und uns auf Bedrohungen vorzubereiten.
Eine weitere mögliche Ursache ist die soziale Konditionierung, die uns beeinflusst, wie wir uns in verschiedenen sozialen Situationen verhalten sollen. Wir werden oft unbewusst darauf trainiert, bestimmte Verhaltensweisen und Normen zu akzeptieren und zu befolgen, die auf Vorurteilen und Stereotypen beruhen.
Wie äußert sich dieses Phänomen heute noch in der Wissenschaft?
Unconscious bias ist ein ernstes Thema in der Wissenschaft, das sowohl Frauen als auch Männer betrifft. Es kann zu einer Verzerrung der Wahrnehmung von Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualifikationen führen, insbesondere wenn es um Frauen geht. Frauen können bei der Besetzung von Führungspositionen oder bei der Vergabe von Forschungsgeldern benachteiligt werden, obwohl sie genauso qualifiziert sind wie ihre männlichen Kollegen.
Professorinnen spielen eine wichtige Rolle in der Hochschulbildung und Wissenschaft, da sie neue Perspektiven und Erfahrungen mitbringen und so dazu beitragen, eine vielfältige und inklusive Lernumgebung zu schaffen.
Die Hochschulen profitieren von Professorinnen, indem sie eine positive Lernumgebung schaffen, die alle Studierenden gleichermaßen unterstützt. Frauen werden durch weibliche Vorbilder in der Wissenschaft ermutigt, ihre Karrieren fortzusetzen und ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie fördern deren Motivation und Interesse an Wissenschaft und Forschung. Zum anderen führen diverse Perspektiven und Erfahrungen zu einem breiteren Spektrum an Forschungsfragen und -ansätzen, was zu einer höheren Qualität und Innovativität der Forschungsergebnisse führt.
Des Weiteren tragen Professorinnen zur Diversität und Gleichberechtigung an den Hochschulen bei. Sie können beispielsweise dabei helfen, Stereotypen und Vorurteile in Bezug auf Geschlechterrollen aufzubrechen und eine inklusive Lernumgebung zu schaffen. Auch können sie als wichtige Mentorinnen für Studentinnen dienen und so den Übergang von der Hochschule in die Berufswelt erleichtern.
Es ist wichtig, dass wir uns der Existenz von unconscious bias bewusst sind und uns bemühen, ihn zu minimieren. Um den „unconscious bias“ zu minimieren und die Chancengleichheit für Professorinnen zu verbessern, können Hochschulen verschiedene Maßnahmen ergreifen, wie beispielsweise gezielte Stellenausschreibungen und die Förderung von Diversität in der Berufungskommission. Auch können Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Thema „unconscious bias“ dazu beitragen, dass Vorurteile und Stereotypen erkannt und abgebaut werden. Eine wichtige Rolle spielen auch Mentoring-Programme, die Frauen in der Wissenschaft unterstützen und ermutigen, ihre Karriereziele zu verfolgen.
Es ist wichtig, sich dieser Stereotypen bewusst zu sein und aktiv zu hinterfragen, um eine gerechte und gleichberechtigte Arbeitsumgebung zu schaffen. Letztendlich profitieren davon nicht nur die Professorinnen selbst, sondern auch die Hochschulen und ihre Studentinnen und Studenten.
Was sagt die Wissenschaft zu diesem Themenbereich?
Es gibt etliche Studien über Frauen in der Wissenschaft und wie Stereotypen ihre Karriere und Erfahrungen beeinflussen können. Zum Beispiel die Folgenden:
In der Studie “ Gender Bias in Academic Recruitment? Evidence from a Survey Experiment in the Nordic Region“ (2021) von Carlsson, Finseraas, Midtbøen und Rafnsdóttir (https://doi.org/10.1093/esr/jcaa050) untersuchen die Autoren die Rolle der Voreingenommenheit bei der Einstellung von Akademikern in einem groß angelegten Umfrageexperiment unter Lehrkräften der Fachbereiche Wirtschaft, Recht, Physik, Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie von Universitäten in Island, Norwegen und Schweden. Die Ergebnisse zeigen, dass trotz der Unterrepräsentation von Frauen in allen Fachbereichen die weiblichen Kandidaten im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sowohl als kompetenter als auch als einstellungsfähiger angesehen wurden. In nordischen Regionen gibt es offensichtlich auch andere Gründe als die voreingenommene Beurteilungen für das Ungleichgewicht der männlichen und weiblichen Professoren.
In der Studie „Science faculty’s subtle gender biases favor male students“ von Moss-Racusin et al. (2012, https://doi.org/10.1073/pnas.1211286109) untersuchen die Autoren in einer randomisierten Doppelblindstudie (n = 127) naturwissenschaftliche Lehrkräfte von forschungsintensiven Universitäten die Bewerbungsunterlagen von Studenten, dem nach dem Zufallsprinzip entweder ein männlicher oder ein weiblicher Name für eine Stelle als Laborleiterin zugewiesen wurde. Die Fakultätsteilnehmer bewerteten den männlichen Bewerber als deutlich kompetenter und einstellungsfähiger als die (identische) weibliche Bewerberin. Diese Teilnehmer wählten auch ein höheres Anfangsgehalt und boten dem männlichen Bewerber mehr Karriere-Mentoring an. Das Geschlecht der Fakultätsmitglieder hatte keinen Einfluss auf die Antworten, so dass weibliche und männliche Fakultätsmitglieder mit gleicher Wahrscheinlichkeit eine Voreingenommenheit gegenüber der Studentin zeigten.
Interessant sind auch die Ergebnisse der Studie von Bian, Leslie and Cimpian (2017, DOI: 10.1126/science.aah65 ): „Gender stereotypes about intellectual ability emerge early and influence children’s interests“. Sie zeigen, wie Geschlechterstereotypen bei Kindern im Alter von sechs Jahren entstehen und wie sie ihre Interessen und Karriereentscheidungen beeinflussen können. Sie bekamen heraus, dass Kinder bereits in diesem Alter Geschlechterstereotypen über intellektuelle Fähigkeiten internalisiert haben, die sich auf ihre Wahl von Aktivitäten und Interessen auswirken. („But by age 6, girls were prepared to lump more boys into the “really, really smart” category and to steer themselves away from games intended for the “really, really smart.”“)
Ich stellte mir die Frage, wie solche Stereotypen überhaupt entstehen.
Auch hier fand ich einige interessante Hinweise aus der empirischen Forschung. Zum Beispiel die folgenden Studien befassen sich mit dem Ursprung von Stereotypen:
Die Studie „Social Dominance Orientation: A Personality Variable Predicting Social and Political Attitudes“ von Jim Sidanius und Felicia Pratto (1994, http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.67.4.741) untersucht die Rolle von „Social Dominance Orientation“ (SDO) bei der Entstehung von Stereotypen. SDO bezieht sich auf die Tendenz von Menschen, eine hierarchische Ordnung zwischen verschiedenen Gruppen zu akzeptieren und zu fördern. Die Studie fand heraus, dass Menschen mit höheren SDO-Werten eher Stereotypen unterstützen und verbreiten, insbesondere gegenüber Gruppen, die als „untergeordnet“ angesehen werden.
Die Studie “ Implicit stereotypes and women’s math performance: How implicit gender-math stereotypes influence women’s susceptibility to stereotype threat “ von Kiefer und Sekaquaptewa (2007, DOI: 10.1016/j.jesp.2006.08.004) untersucht die Rolle von impliziten Stereotypen bei der Leistung von Frauen in Mathematik. Die Studie fand heraus, dass Frauen, die mit dem Stereotyp konfrontiert wurden, dass Frauen in Mathematik schlechter abschneiden als Männer, in Mathematiktests schlechter abschnitten als Frauen, die nicht mit diesem Stereotyp konfrontiert wurden. Dies zeigt, wie Stereotypen die Leistung und das Verhalten von Menschen beeinflussen können.
Wie wir sehen, gibt es zahlreiche Studien und Erkenntnisse aus der Wissenschaft, die belegen, dass Frauen genauso intelligent sind wie Männer. Es ist an der Zeit, dass diese veralteten und diskriminierenden Stereotypen über Frauen endlich überwunden werden, in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft. Wir werden alle davon profitieren.
Dieses Phänomen ist nicht nur in der Wissenschaft immer noch allgegenwärtig, sondern auch in der freien Wirtschaft: in der Führung, in Projekten, in Recruiting.
Coaching und Beratung bieten eine wertvolle Unterstützung.
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